Leichte Sprache. Werden wir für dumm verkauft?

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Vortrag von Prof. Dr. Christina Noack | Didaktik der deutschen Sprache, Schwerpunkt Grundschule, Institut für Germanistik, Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft
Zunächst: Leichte Sprache, die als Idee aus den USA stammt, global verbreitet ist und vor circa 15 Jahren durch das Netzwerk Leichte Sprache in Deutschland etabliert wurde, hat nichts mit einer intellektuellen Herabwürdigung des Gesprächspartners – oder besser Lesers, denn es handelt sich meist um geschriebene oder vorgelesene Texte – zu tun. Sie ist nicht als kognitive Hängematte intendiert, in der sprachfaule Subjekte in reduzierter Syntax und mit minimalem Artikulationsaufwand kommunizieren können: „Ey, wann gehn wa Meckes?“ Nein, Leichte Sprache fällt in eine Kategorie mit Rollstuhlrampen, Behindertenparkplätzen oder akustischen Ampelsignalen: Sie soll dazu beitragen, gehandicapten Mitmenschen Barrieren aus dem Weg zu räumen und ihnen dadurch gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten. Diese Barrieren können ganz unterschiedlicher Art sein, zum Beispiel sprachlich, sensorisch, kognitiv, jeweils allein oder auch in Kombination. Damit die Barrierenbeseitigung in allen Fällen gut gelingt, folgt Leichte Sprache – im Unterschied übrigens zur sogenannten Einfachen Sprache – einem festgelegten Regelwerk. Im Zentrum stehen unter anderem kurze, einfache Sätze möglichst immer im Aktiv, die weitgehende Vermeidung von Fachund Fremdwörtern oder die optische Trennung zusammengesetzter Wörter durch Bindestriche. Der entsprechende Regelapparat ist übrigens seit einigen Jahren im Duden-Verlag publiziert. So weit, so leicht. Aber wie steht es mit den Inhalten? Kann man sich zum Beispiel einen Fachaufsatz in Leichter Sprache vorstellen? Technisch gesehen ist das ohne Weiteres machbar, wie folgendes kurzes Beispiel – ein Schulbuchausschnitt – zeigt: Originaltext: „Auch die Büschelkiemen der nur im Wasser lebenden Amphibienlarven erfüllen diese Aufgabe, während die Lunge der erwachsenen Tiere die Atmung an Land ermöglicht.“ (Biosphäre 5/6, Cornelsen 2015) Leichte Sprache: „Amphibien sind zum Beispiel Frösche oder Lurche. Ihre Kinder heißen Larven. Amphibien-Larven. Die Amphibien-Larven leben im Wasser. Die Amphibien-Larven atmen mit Büschel-Kiemen. Erwachsene Amphibien leben an Land. Die erwachsenen Amphibien haben eine Lunge.“ Doch hier besteht in der Tat ein Dilemma: Technisch gesehen lässt sich die Sprache in den meisten Lebensbereichen vereinfachen, die Zusammenhänge jedoch nicht unbedingt, und es stellt sich die Frage, wo die Grenzen des Verstehbaren liegen. Was wir mit Leichter Sprache gut darstellen können, das ist das konkret Beschreibbare, das sind einfache Zusammenhänge, etwa zeitliche Abfolgen; an Grenzen stößt sie zum Beispiel bei komplexen Begriffen, die in der Regel auch unübersetzt bleiben und mit einem Hinweis auf „Schwere Sprache“ versehen werden. Allerdings ist Leichte Sprache für kognitiv besonders herausfordernde Texte auch nicht primär intendiert, sondern für Bereiche des öffentlichen Lebens, bei denen der potenzielle Ausschluss einzelner Bevölkerungsgruppen inakzeptabel ist – Behörden und Verwaltung, Politik und Justiz. Ganz unabhängig von dem Zweck der Barrierefreiheit, den die Leichte Sprache verfolgt, präsentieren neuerdings die Onlineformate seriöser Medien wie Spiegel, Zeit oder FAZ völlig bewusst redaktionelle Inhalte wenn nicht in Leichter, so zumindest in vereinfachter Sprache, und zwar dort, wo dezidiert die junge Leserschaft angesprochen ist. Hier finde ich die Frage, ob da jemand für dumm verkauft wird oder sich für dumm verkaufen lässt, nicht ganz aus der Luft gegriffen.
Prof. Dr. Christina Noack
Universität Osnabrück
Didaktik der Deutschen Sprache, Schwerpunkt Grundschule Institut für Germanistik
E-Mail: [email protected] Internet: www.lili.uni-osnabrueck.de/institut_fuer_germanistik/ forschung/projekt_umbrueche_gestalten/das_projektteam/ prof_dr_christina_noack.html

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