Kino gegen Austerität 15.11.23: Wir schauten und diskutierten den Spielfilm „Modern Times“ von Charlie Chaplin aus dem Jahr 1936. Für die Einführung zum Film begrüßten wir Alfred Oppolzer, Professor i. R. für Industrie- und Betriebssoziologie an der Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP) und am Fachbereich Sozialökonomie an der Uni Hamburg.
Näheres zum Film:
„Die Forderung, die Illusionen über seinen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.“
Karl Marx, „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“, MEW Bd. 1, 1844.
Die neoliberale Politik der zügellosen Kapitalbegünstigung hat die Welt über die letzten Jahrzehnte erkennbar nicht eben friedlicher, sozial gerechter, demokratisch aufgeklärter oder freundlicher gemacht. Dennoch, oder gerade deswegen, wird ein zentraler Glaubenssatz dieser Doktrin immer mantraartiger auf allen Kanälen wiederholt: wer sich nur genug anstrengt, brav an die Regeln hält und nicht zu große Ansprüche entwickelt, der könne es nach oben schaffen – oder es zumindest zu einer gewissen Sicherheit und einem kleinen Glück im privaten Nahraum bringen.
Die Kritik an diesem für die wenigen Profiteure der aktuellen Gesellschaftsordnung sehr nützlichen Aufstiegsversprechen ist so alt wie die kapitalistische Gesellschaft selbst. Selten ist sie jedoch so kunstvoll und eindringlich zum Ausdruck gebracht worden, wie in dem großen Filmklassiker „Modern Times“ von Charlie Chaplin.
1936 in der Zeit des „New Deals“ entstanden, als durch massive öffentliche Investitionen in Bildung, Kultur, soziale Sicherungssysteme und Infrastruktur, durch groß angelegte Umverteilungsprogramme, strikte Regulierung der Monopolkonzerne und staatliche Unterstützung der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterbewegung die US-Gesellschaft aus einer tiefgreifenden, strukturellen Krise geholt wurde (die mit der heutigen globalen durchaus vergleichbar ist), reflektiert der Film die Zeit der Großen Depression und trifft dabei überzeitlich bedeutsame Aussagen über das Wesen der Ausbeutungsgesellschaft insgesamt.
Der Zuschauer begleitet den Tramp – die leicht tollpatschige, unangepasste, das menschliche Prinzip verkörpernde Erzählfigur in Chaplins Stummfilmen – auf seinem Weg zum vermeintlichen „Glück“. Er arbeitet zunächst in einem Stahlwerk, in dem der müßiggängerische Chef den Takt der monotonen Fließbandtätigkeit antreibt, um mit der Konkurrenz mitzuhalten. Als entfremdetes Anhängsel einer Produktionsmaschinerie, die jegliche menschliche Regung mit Mehrarbeit bestraft, endet der Versuch überbotmäßiger Beflissenheit letztlich im Wahnsinn und der Entlassung in die Irrenanstalt. Durch Zufall an die Spitze eines Demonstrationszugs streikender Arbeiter geraten, wird der Tramp verhaftet und muss sich – wegen guter Führung (unter Drogeneinfluss) – nach neuer Arbeit umschauen. Dabei trifft er auf eine Halbwaise aus den Elendsvierteln am Hafen. Fortan gehen sie ihre holprigen Pfade gemeinsam und scheitern immer wieder an ihren Illusionen bzw. den Normen einer auf betäubenden Massenkonsum orientierten „Aufstiegsgesellschaft“, die für tatsächliche Freundlichkeit, produktive Anteilnahme, künstlerischen Erfindungsreichtum oder gar das menschliche Bedürfnis nach solidarischer Gestaltung erfreulicher Lebensbedingungen keinen Platz zu haben scheint. Selbst ihren größten Coup – eine improvisierte Gesangseinlage in einem Vergnügungslokal (ein Leinwanderlebnis sonder gleichen) – vereiteln die gnadenlosen Strafverfolgungsbehörden. So bleibt den verstoßenen Menschenfreunden letztlich nur das gemeinsame Streben nach einer neuen Weite jenseits des Horizonts.
Durch die filmisch brillante, analytisch kluge und humoristisch-aufklärerische Kontrastierung des dauerhaften Drangs nach menschlich-produktiver Entfaltung einerseits und dem entmenschlichenden Wesenskern einer nach Verwertungsmaßstäben normierten Gesellschaft in all ihren Facetten andererseits, lässt sich diese Weite sogar näher bestimmen, als es der Film selber tut.
Unter den Bedingungen einer auf Ausbeutung, Konkurrenz und Entfremdung beruhenden Gesellschaft besteht die entscheidend sinnvolle, übergreifende Lebenstätigkeit darin, diese Ketten gemeinsam zu sprengen. So wird der Mensch dem Menschen ein Freund, das Leben lichter, die Arbeit erfreulicher und die Kultur zum eingreifenden Vergnügen. Es gibt ein richtiges Leben gegen das Falsche.
Das filmische Werk selbst ist dafür eindrucksvolles Zeugnis.
Aus der Geschichte lässt sich lernen für die gegenwärtige Realisierung einer menschenwürdigen Zukunft.
Darum: Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.
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