Johann Wolfgang von Goethe "Nähe des Geliebten" - Lesung, Text & Erläuterung i.d. Beschreibung

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Johann Wolfgang von Goethe war 46 Jahre alt, als der Komponist Carl-Friedrich Zelter, einer seiner Freunde, ihm eines Abends im Jahr 1795 die Vertonung eines Gedichts vorspielte. Titel "Ich denke dein". Die Verfasserin: Die damals populäre Lyrikerin Friederike Brun. Und so gehts los:

"Ich denke dein, wenn sich im Blütenregen
Der Frühling malt;
Und wenn des Sommers mild gereifter Seegen
In Ähren strahlt."

Das geht acht Strophen so. Goethe war begeistert. Sofort setzte er sich daran, eine auf vier Strophen gekürzte, weniger komplexe und daher heute populärere Version zu dichten.

Goethe behielt die effektvolle Form bei - lies die Verse laut, dann weißt du, was ich meine. Technisch ausgedrückt - ich weiß, das schreckt ab, aber der Satz ist gleich beendet - besteht die Form aus 5-hebigem Jambus in der ersten Zeile mit weiblicher Endung; dann 2-hebiger Jambus in der zweiten Zeile mit männlicher Endung. Jede Strophe ist aus zwei dieser Zeilen gebaut, also je 4 zeilig, die ein klares Reimschema bringen, stets A-B-A-B.

Die effektvolle Strophen-Form hat vor Friederike Brun der heute sehr wenig bekannte Lyriker Ewald Christian von Kleist etabliert, in seinem lesenswerten Gedicht mit dem heute albern wirkenden Titel "Lied eines Lappländers". Hier die zweite Strophe, aus der Werbetexter sich immer wieder neu bedienen:

"... Du zürnst umsonst. Mir giebt die Liebe Flügel,
Nichts hält mich auf.
Kein tiefer Schnee, kein Sumpf, kein Thal, kein Hügel
Hemmt meinen Lauf. ..."

Wir alle sind sicher auch deswegen berührt von Goethes "Nähe des Geliebten", weil der Satzbau sich simpel wiederholt: Der starke Hauptsatz (z.B. "Ich denke dein") eröffnet jeweils über den anschließenden Konditionalsatz ("wenn....") ganze Welten der Sehnsucht. Und wenn dies Schema in der vierten Strophe durchbrochen wird, ist der Effekt ein Dammbruch der Gefühle, der Höhepunkt.

Und dann überraschte mich gerade die Feststellung, dass Goethe im Titel von "Nähe des Geliebten", nicht "Nähe der Geliebten" spricht. Da Goethe selbst, das will ich aus seinen Affären und seiner Ehe deuten, heterosexuell war und kein Thomas Mann, geht es hier um sogenannte "Rollenlyrik": Der männliche Autor schafft ein lyrisches Ich, das die Rolle der Frau einnimmt, die an ihren Geliebten denkt. Da mir dies vorher nie aufgefallen ist, können wir dies Detail vernachlässigen, oder? Diese Zeilen Bruns und Goethes sind universell: ein Mensch, der liebt, denkt in Sehnsucht an den geliebten Menschen, ganz gleich welchen Geschlechts da wer ist - überprüf du selbst die Dramaturgie und Szenerie der Zeilen, was ist hier spezifisch weiblich an der Sehnsucht?

1799 vertonte Ludwig van Beethoven "Nähe des Geliebten"; vielleicht darf ich das als Musikwissenschaftler sagen: leider langweilig, zusammengebaut aus Klischee-Wendungen. Schuberts spätere Vertonung? Nervig. Vorschlag: Nehmen wir den Text, der beinhaltet die ganze Welt der Sehnsucht allein in den Worten - hier erleben wir Goethe weit weg vom frühen Sturm und Drang, längst raus aus der Weimarer Klassik, hier ist er ganz eingetaucht in seine Romantik-Phase:

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE
"Nähe des Geliebten" (1795)

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.

Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.

Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir; du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
O, wärst du da!

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Der ist glücklich, der die Nähe des Geliebten fühlt,
Volker

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