Tillmann geht für drei Jahre auf die Walz.

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Freudenberg. Das mit dem Erwachsen werden hat der 21-jährige Tillmann Quandel aus Freudenberg schon richtig angepackt, nach Schreiner-Ausbildung und der bestandenen Gesellenprüfung soll nun der nächste Schritt ins Berufsleben folgen. Das erlernte Handwerk in alter Tradition perfektionieren, ist bei den Holzverarbeitenden Gesellen ein mühsamer Weg. Dieser Berufsweg führt die jungen Menschen für drei Jahre und einen Tag weit weg von Zuhause, sie gehen auf die Walz.
Mit einer zünftigen Abschiedsfeier startete Tillmann am Freitagabend seinen neuen Lebensabschnitt in der väterlichen Schreinerwerkstatt an der Krottorfer Straße. Das „Losbringen" wurde natürlich mit seinen Handwerksbrüdern des Rolandsbruder-Schachtes „zelebriert". Neben der traditionsreichen Kluft bekommt der Wandergeselle auch seinen Ohrring. Der Zunft-Ohrring wurde vom Exportgesellen Dennis Schneider frd Rolbr (Fremder Rolandsbruder) ans Ohr gesteckt. Diese Zeremonie wirkt auf Außenstehende etwas Martialisch, denn das Loch im Ohrläppchen, wird mit einem alten Zimmermannsnagel ins Fleisch getrieben. Vater von Papa Martin Quandel hat diesen besonderen Nagel aus der alten Freudenberger Stadtapotheke nach Bauarbeiten retten können. Das tragen des wertvollen Ohrrings hatte Früher einen ganz praktischen Hintergrund. Sollte der Wandergeselle auf seiner Walz (Reise) versterben, so waren die Kosten seiner Beerdigung und ein ordentliches Begräbnis mit dem Ohrschmuck zu bezahlen.
Der Exportgeselle Dennis Schneider begleitet den Aspiranten Tillmann während der nächsten Monate bis die Reife gegeben ist, allein auf die Walz zu ziehen.
Die zünftige Kluft eines Wandergesellen besteht aus Kord- oder Manchestersamt-Hose, Weste, Rock und Hut, diese Kleidungsstücke sind schwarz gehalten. Ein möglichst blütenweißes Hemd bildet den Kontrast der Kleidung. Weiß schimmern auch die Perlmuttknöpfe, die in zwei oder auch vier Reihen Weste und Jacke mehr als Schmuck als zum Knöpfen dienen. Weiß ist auch die leinene Reiserolle, auch Charlottenburger genannt. Blau ist hingegen die Farbe des übergroßen Taschentuchs mit dem die Reiserolle eingeschlagen wird. Die als „Ehrbarkeit" bezeichnete Schnurkrawatte wird bei den einzelnen „Schächten" in unterschiedlichen Farben getragen.
Vom Fremden Rolandsbruder bekommt Tillmann Quandel auch die wichtigen Verhaltensregeln für seinen „zweiten Beruflichen Bildungsweg" erklärt und auferlegt. Neben der feierlichen Anbringung des Ohrrings und der einzuhaltenden Kleiderordnung, darf der Aspirant seinem Elternhaus und seiner Heimat nicht näher als 60 Kilometer kommen. Dies gilt für die Zeit seiner Wanderschaft von drei Jahren und einem Tag. Verpönt sind Handy oder iPhone, anrufen und telefonieren darf der Wandergeselle nur aus der Telefonzelle. Eine „altmodische" Postkarte an Eltern oder Freunde sind allerdings erlaubt. Der heutige Wanderbruder braucht kein eigenes Werkzeug mehr mitschleppen. Sein „Bündel" mit Waschzeug und einem Hemd zum wechseln trägt er aber auch heute noch auf seiner Wanderschaft.
Nach der ausgiebigen Abschiedsparty in der elterlichen Werkstatt, kletterte Aspirant Tillmann Quandel am Samstagmittag über das Ortsschild seiner Heimatstadt Freudenberg, und wurde von Dennis Schneider seinem Rolandsbruder „Losgebracht". Vor dem überklettern des Ortsschildes wurden Wanderstock und Bündel geworfen und mit Beifall der Umstehenden begleitet. Mit 89 Jahren begab sich Opa Walter Bäumer an die Stadtgrenze, als alter Schreinergeselle wollte auch er dabei sein, wenn Enkel Tillmann für 1.096 Tage auf die Walz geht, und nach einer letzten Umarmung nicht mehr zurückschaut.

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