Schmerzhafter Abschied: Die letzten Tage in einem Traditionsgeschäft | Die Story | Kontrovers | BR24

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Es ist ein schmerzhafter Abschied: Das Schreibwarengeschäft Kaut-Bullinger verschwindet aus der Münchner Innenstadt - nach mehr als 200 Jahren. Das Unternehmen will in Zukunft nur noch online verkaufen. Denn im Netz läuft das Geschäft besser als im Laden. Die Folge: Viele langjährige Mitarbeiter verlieren ihren Job. Wir haben die letzte Woche vor der Schließung begleitet.

„Sehr geehrte Kunden, in wenigen Minuten, um 19 Uhr, schließen wir heute zum letzten Mal unser Geschäft.“ Verkäufer Willi Holzapfel hat schon oft die letzte Ansage des Tages in der Münchner Kaut-Bullinger-Filiale durchgesagt. Heute ist es das letzte Mal überhaupt. Das Traditionskaufhaus verschwindet aus der Innenstadt: Kaut-Bullinger war fast 230 Jahre lang die Anlaufstation für Schreibwaren in München.

Wir haben den Verkäufer und seine Kollegen in der letzten Woche begleitet, bis zum Tag der Schließung der Kaut-Bullinger-Filiale in der Rosenstraße am 19. Februar. Willi Holzapfel hat fast sein ganzes Leben in dieser Filiale gearbeitet. Inzwischen ist er 60 Jahre alt. Als er als Lehrling angefangen hat, war er gerade mal ein 15-jähriger Bub: „Ich bin da groß geworden, ich bin da aufgewachsen“, sagt er.

Jahrzehntelang hat Holzapfel Kunden in der Technikabteilung beraten. In Zukunft will Kaut-Bullinger nur noch online handeln. Denn im Netz verdient das Unternehmen inzwischen mehr als im Laden – auch durch den Handel mit Großkunden. Eine schmerzliche Entwicklung, findet der 60-jährige Verkäufer. Die Beratung würden die Kunden zwar schon noch im Geschäft suchen, doch dann kaufen sie den Artikel übers Internet.

Allein seit 2010 hat sich der Umsatz im Online-Handel mehr als verdreifacht. Corona hat die Entwicklung nochmal verstärkt. Spür- und sichtbar ist dieser Trend auch in der Fußgängerzone. Immer wieder verschwinden Unternehmen und Geschäfte. Ein Quadratmeter Ladenfläche in bester Lage kostet in München im Schnitt 215 Euro Miete. Das können sich nur noch wenige Traditionsgeschäfte leisten. Jetzt wird auch der letzte Kaut-Bullinger dran sein, hier in der Rosenstraße. Die Filiale hier gibt es seit dem Ende des 2. Weltkrieges, das Geschäft brummte Jahrzehntelang. Doch diese guten alten Zeiten sind vorbei: Seit Jahren macht Kaut-Bullinger Millionenverluste im stationären Einzelhandel.

Die Folgen sehen wir, als wir Willi Holzapfel in den letzten Tagen durch die Filiale begleiten. Zwei Etagen sind schon leergeräumt. Wo sich früher Kunden durch die gut sortierten Regalreihen drängten, ist jetzt nur noch Leere: „Wenn Sie sich das jetzt hier ansehen, wie’s aussieht - sicher macht‘s dich traurig“, sagt Willi Holzapfel.
Immerhin: Für ihn geht es bei Kaut-Bullinger weiter: mit einem Bürojob in der Zentrale in Taufkirchen. Doch die meisten seiner Kollegen werden ihren Job verlieren, wenn das Geschäft in wenigen Tagen schließt.

Kaut-Bullinger hat sein Geschäftsmodell radikal verändert: 2017 hatte das Unternehmen noch 11 Filialen, eine nach der anderen wurde geschlossen. Denn nicht nur die Zeiten, sondern auch der Markt selbst hat sich verändert. Online muss keine Miete gezahlt werden, die Personalkosten sind geringer. Wenn Kaut-Bullinger langfristig erfolgreich sein will, so sieht es die Geschäftsleitung, muss das Unternehmen mit der Zeit gehen.

Es ist der letzte Tag des Geschäfts in der Rosenstraße. 70 % auf alles – das lockt noch einmal Kunden an. „Kann man sich gar nicht vorstellen, dass wir dann am Montag nicht mehr aufsperren“, sagt Willi Holzapfel. Viele Mitarbeiter tragen heute schwarz: Heute, so wissen sie, stirbt ein Stück München. Manche stellen Grabkerzen auf, betrauern das Ende des Traditionsgeschäfts.

Auch Willi Holzapfel kämpft mit den Emotionen. Er soll die Kunden gleich mit einer Durchsage verabschieden – so wie sonst auch. Doch heute ist es ein Abschied für immer. Seine Worte hat er sich gut vorbereitet: „Nicht, dass ich dann komplett aus dem Text komme heute. Das ist mir zwar in 40 Jahren nicht passiert, aber wer weiß, wer weiß.“
Und dann … die letzten Worte, die er hier an die Kunden richten wird.
„Sehr geehrte Kunden, in wenigen Minuten um 19 Uhr schließen wir heute zum letzten Mal unser Geschäft. Wir danken Ihnen für Ihren Einkauf und für Ihre jahrelange Treue. Die Geschäftsleitung und wir wünschen Ihnen alles erdenklich Gute – und natürlich auch unseren Mitarbeitern für die Zukunft alles, alles Gute. Vielen Dank für Ihren Einkauf. Auf Wiedersehen und bleiben Sie gesund.“

Autorinnen: Juliane Rummel und Lea Utz

Aus der Kontrovers-Sendung vom 2.3.2022

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