Anlass zu der kleinen Videoserie sind die Erfahrungen aus dem vergangenen Semester; Einzelfälle, aber auch die fügen sich zu einem realistischen Gesamtbild zusammen, hier nun Szenen und Dialoge aus dem Inverted Classroom:
a) In der ersten Aufgabe des Tages ging es um Reaktionen von Carbonylverbindungen, in der zweiten um terminale Olefine. Gleich mehrere Studis haben halluziniert und bei den terminalen Olefinen einen Sauerstoff ergänzt, um wieder eine Carbonylgruppe zu haben. Überhaupt kam es ständig vor, dass viele Teilnehmer nicht in der Lage waren, Molekülstrukturen fehlerfrei von der Tafel abzumalen.
b) Ein Gastdozent fragt einen Studi, was sein erster Denkansatz bei der Lösung der gestellten Übungsaufgabe ist. Seine Antwort: „Weiß nicht, in der Chemie bin ich immer ganz lost“. Was war nochmal der Studiengang, in den er eingeschrieben ist?
c) In einer Übungsaufgabe soll im ersten Reaktionsschritt eine Base mit 2-Iodpropionsäure reagieren. Einer Studentin wird im unterstützenden Gespräch die übliche Inverted Classroom Frage gestellt: „Worüber denken Sie gerade nach?“ „Was die Base da macht.“ „Die Base wird definitionsgemäß zum Deprotonieren eingesetzt.“ „Ach so.“ „Ja, und welcher ist denn nun der acideste Wasserstoff?“ „Das Iod“.
d) Ein Studienberater weist mich darauf hin, dass sich viele Studis bei meinen bisherigen Vorlesungsvideos mit 30 bis 40 Minuten Länge überfordert fühlen. Diese einfach mal selbständig in 5 bis 10 Minuten-Häppchen zu unterteilen und zwischendurch den Inhalt zu reflektieren, bekommen viele nicht hin.
Diese Szenen sind weniger lustig als symptomatisch. Es läuft immer wieder auf das gleiche Problem hinaus, die mangelnde Konzentrationsfähigkeit. Im Klausurergebnis schlägt sich das entsprechend nieder, auch bei denen, die es fachlich eigentlich kapiert haben und sich selber fragen, wie Ihnen solche Böcke passieren konnten wie: Es ist nach der Reaktion eines Amins mit Benzylbromid gefragt, was selbstverständlich über nukleophile Substitution ein Ammoniumsalz ergibt. Gefühlt die Hälfte der über 100 Klausurteilnehmer hat Benzylbromid mit Brombenzol verwechselt, ok, das war früher auch schon so, aber dass da nun welche unbedingt HBr eliminieren wollen, obwohl da gar kein H ist, das ist neu: die einen eliminieren zum 5-bindigen Kohlenstoff, die anderen denken sich einfach eine Methylengruppe hinzu und eliminieren zum Styrol.
Resumee: Wenn sich nun welche über das plakative Video aufregen, gut so, ist Absicht. Vielleicht hilft ja ein wenig mehr an Emotionalität auf die Sprünge. Was schlägt da die Kritik vor? Wenn es solche Probleme gibt, dann kann ein/eine richtig gute Dozent*in (m/w/d) mit modernen Lehrmethoden das schon richten? Träumt weiter!
Na klar gibt es auch Studiengänge in denen man hauptsächlich gemeinsam chillen kann und wird dann später seine Nische in der postfaktischen Gesellschaft finden, bei irgendwas mit Medien, zB als Wohlfühl-Content-Creator, oder als professioneller Aktivist oder als Politiker.
Es gibt aber nicht nur klimatische Kipp-Punkte sondern auch gesellschaftliche. Um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein, ist nicht dumm Rumlabern zu können die beste Versicherung, sondern andere Eigenschaften und Fähigkeiten: mental und kognitiv gefestigt zu sein und sich über einen längeren Zeitraum konzentrieren zu können, bilden die absolute Basis, um, wenn die Prüfungs- oder Lebensaufgaben auch mal schwieriger werden, sich durchbeißen zu können und es überhaupt ernsthaft zu wollen.
Der in Video 2 empfohlene Selbsttest mit Mathe-Känguru ist natürlich nicht die Lösung, aber ein erster Schritt. Wer das Problem nicht erkennen will, geschweige denn angehen, dem kann und wird auch kein anderer helfen.
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