Christian Morgenstern "Es ist Nacht" (1908) - Lesung und Erläuterung i.d. Beschreibung

Christian Morgenstern (1871-1914) hat für mich eine Magie, wie kein anderer Dichter. Und der Morgenstern, er funkelt in seiner Vielfarbigkeit: Da schreibt er verspielt magische Lyrik am Rande der Semantik wie "Der Zwölfelf", "Das Mondschaf", "Das Gespräch einer Hausschnecke". Und lange Jahre vor den Dadaisten eindeutig lautpoetische Lyrik wie "Das große Lalula", "Das Gruselett", "Der Rabe Ralf" und konkrete Poesie mit "Fisches Nachtgesang".

Daneben prä-kafkaeske Lyrik wie "Die Behörde". Und: spirituelle Lyrik wie "Noch blendet euch der Tagessonnenschein". Und auch eines der schönsten Liebesgedichte der deutschen Lyrik mit "Es ist Nacht".

Klar ist, die drei zarten Strophen sind Margareta Gosebruch von Liechtenstern (1879-1968) gewidmet. Christian Morgenstern lernt Margareta 1908 kennen, er schon gezeichnet von seiner Lungenkrankheit:

"Da traf ich dich, in ärgster Not, den Andern!
Mit dir vereint, gewann ich frischen Mut.
Von neuem hob ich an zu wandern,
und siehe da, das Schicksal war uns gut (...)"
und weiter:
"Mag sein, wir stehn an unsres Lebens Ende
noch unterm Ziel, - genug, der Weg ist klar!
Daß wir uns trafen, war die große Wende;
aus zwei Verirrten ward ein wissend Paar."

Christian und Margareta heirateten 1910. Nach dem frühen Tod Morgensterns nur 4 Jahre später als 43-Jähriger, gab seine Witwe posthum seine unveröffentlichten Werke heraus.
Und hier ist es, eines der schönsten Liebesgedichte in deutscher Sprache:

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CHRISTIAN MORGENSTERN
"Es ist Nacht"

Es ist Nacht,
und mein Herz kommt zu dir,
hält's nicht aus,
hält's nicht aus mehr bei mir.

Legt sich dir auf die Brust,
wie ein Stein,
sinkt hinein,
zu dem deinen hinein.

Dort erst,
dort erst kommt es zur Ruh,
liegt am Grund
seines ewigen Du.

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Ich mag die Gedichte Christian Morgensterns seit vielen Jahren, habe seine "Gesammelten Werke in einem Band", 1965 im Piper Verlag erschienen, immer wieder in Händen, laufe damit von Zimmer zu Zimmer und entdecke ihn neu. Mit seiner Biographie habe ich mich erst jetzt beschäftigt. Und ich lernte, dass Morgenstern auch latenter Antisemit war. Die Forschung ist sich uneins: Denn es gibt von ihm auch die Verurteilung der Pogrome in Russland, 1905; und schon 1899 diesen klarsichtigen Text gegen Antisemitismus - wenn er den nicht geschrieben hätte, hätte ich Morgenstern hier nicht bringen wollen:

ANTISEMITEN
Werft doch die Maske von euch.
Es ist ja nicht Sem, den ihr meint.
Hinter dem Rassen- verbirgt
schlecht sich der Klassen-Haß nur.

Was denkst du? Schreib mir gern deinen Kommentar dazu.

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Bleibt kritisch,
Volker