Über 100.000 Kinder sind pro Jahr von der Scheidung ihrer Eltern betroffen. Mindestens jeder fünfte Scheidungsvater wird laut einer Studie der Hertie School of Governance danach den Kontakt zum Vater verlieren. Die Gründe sind vielfältig und wenig erforscht. Einer mobilisiert Väter-Gruppen stark: Entfremdung, also die gezielte Verweigerung des Kontaktes durch den Ex-Partner. Aber wie finden Jugendämter und Gerichte heraus, ob Eltern aus Kindes- oder doch Eigeninteresse die Kontakte unterbinden? Die Kontrovers-Story über den Weg von Trennungsvätern und Trennungskindern zueinander.
Lukas M. (Name geändert) ist von langen Gerichtsverfahren an den Rand seiner Belastungsgrenze gekommen. „Das ist ein Gefühl, das ist der Hammer“, sagt der 52-Jährige, „tiefe Trauer, Verzweiflung“. Seit knapp drei Jahren hat er seine Tochter nicht mehr gesehen, seit fünf Jahren laufen die Gerichtsverhandlungen um die Umgänge mit seinem Kind.
Lukas M. erbat beim Jugendamt Hilfe, als mehrfach Umgangstermine mit der Tochter kurzfristig abgesagt wurden. Der Konflikt spitzt sich zu, als Fotos mit blauen Flecken auftauchen: Ohne Datum – aber angeblich Folgen der Umgänge. Lukas M. muss Stellung beziehen auch vor Gericht. Nachdem sich die Vorwürfe vor dem Amtsgericht nicht erhärten lassen, werden neue Termine für Vater-Tochter Treffen festgelegt, doch auch dazu kommt es nicht mehr. Lukas M. weiß nicht, ob er jemals wieder Umgangskontakte bekommt und wenn ja, wann dies sein wird. Dies entscheidet nun das Oberlandesgericht, wo das Verfahren Jahre in Anspruch genommen hat.
Der Pressebeauftragte des Vereins für getrennt Erziehende „Mama Papa Auch“, Ulf Hofes, kennt das Problem aus vielen ihm bekannten Fällen. Über 1.000 betroffene Mütter und Väter hat sein Verein befragt. 80 Prozent waren mit den Abläufen in familiengerichtlichen Verfahren nicht zufrieden. In 83 Prozent äußerten sie Kritik an der überlangen Verfahrensdauer. Der Verein „Mama Papa Auch“ bietet Fortbildungen für Jugendämter und Gerichte an – doch Holfes kritisiert: vielfach gebe es zu wenig Interesse und finanzielle Möglichkeiten. „Bei sehr vielen Gerichten gibt es immer noch die Überzeugung, ein Kind gehört zur Mutter, da gibt es aber viele Beweise für das Gegenteil: Ein Kind braucht beide Eltern.“ so Hofes.
Statistisch ist Entfremdung ein Dunkelfeld: Eine Studie der Hertie-School of Governance von 2018 bezifferte den Anteil der Scheidungsväter, die selten oder keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern haben, auf 22 Prozent in West- und 29 Prozent in Ostdeutschland. Welche Einflussfaktoren für die Vater-Kind-Kontakte eine Rolle spielen, sei aber für Deutschland bisher kaum untersucht worden. Der Psychologe und Leiter der „Petra“-Forschungsstelle, Stefan Rücker, rechnet damit, dass 30.000 – 40.000 Kinder jährlich von Entfremdung betroffen sind. Meistens erfolge der Kontaktabbruch zum Vater. Und Rücker beklagt, dass die Folgen von Kindesentfremdung auch bei Jugendämtern und Richtern nicht ausreichend bekannt seien. Mehr Fachwissen sei notwendig - Rücker betreut selbst Betroffene. „Die betroffenen Kinder haben ein stark erhöhtes Risiko, Depressionen zu entwickeln, Angststörungen, Alkohol oder Drogenabhängigkeiten. Das ist kein Kavaliersdelikt, das ist tatsächlich psychische Misshandlung. Denn es ist gegen die Natur, wenn man ein Elternteil eine Bindungsfigur aus dem Leben des Kindes ausschließt, dass dies folgenlos bleibt für Kinder, das ist ein Irrglaube.“ sagt Stefan Rücker.
Autorin: Beate Greindl
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