In der Diskussion um das öffentlich-rechtliche Fernsehen wird fast nie darüber gesprochen, was wirklich auf dem Spiel steht, wenn es leichtfertig preisgegeben würde: das schrumpfende, aber immerhin noch messbare Niveaugefälle gegenüber dem Trash von RTL & Co! Aber darauf käme es an ! Seit Jahrzehnten sind ARD und ZDF beharrlich dabei, sich selbst abzuschaffen. Erst im Rückblick ist mir aufgefallen, dass ein ganzes Genre in aller Stille geopfert wurde: das Fernsehspiel. Zu den Merkmalen, die es vom Kinofilm unterscheiden, gehören lange Kameraeinstellungen, die Liebe zum Dialog, kaum Außenaufnahmen – kurz, eine Ästhetik, die mit dem Begriff »Kammerspiel« charakterisierbar wäre. In der stiekum verflossenen Ära des Fernsehspiels entstanden auch jene TV-Inszenierungen von Bühnenwerken, die zwar immer schon niedrigere Einschaltquoten als Schlager, Fußball und Trash aller Art einfuhren, aber immerhin existierten. Es ist noch gar nicht so lange her, als es noch Sender wie den ZDF-Theaterkanal oder Eins Festival gab. Eine bis zwei Generationen von Deutschlehrern trugen Goethe, Brecht oder Dürrenmatt in Gestalt von VHS-Kassetten oder DVDs in die Klassenzimmer. Solide, unprätentiöse und handwerklich untadelige TV-Inszenierungen und Literaturverfilmungen entstanden in Ost und West. Meinen Wunsch, einmal Schillers »Räuber« in einer Version zu sehen, die einem das Stück nicht verleidet, ehe man es einmal in einer halbwegs werktreuen Umsetzung gesehen hat, konnte ich mir durch den Kauf einer DVD aus der Reihe »DDR-Archiv« erfüllen. Ich bin ein Musiker, der Schönberg, Adorno, Webern und so manchen Avantgardisten als Hausgötter verehrt. Was den Umgang von heute mit den Dramen von gestern betrifft, muss ich mich hingegen als rettungslos aus der Zeit gefallenen Spießer outen. Immerhin glaube ich mich als Gegner des sog. Regietheaters eines Sinnes mit einem höchst gegenwärtigen Kopf: Gerne berufe ich mich auf Daniel Kehlmann, der 2009 in seiner berühmten Salzburger Rede über das deutsche Regietheater gesagt hat, was zu sagen ist. Die Rede selbst finde ich nicht auf YouTube, immerhin aber ein Video, in dem sie thematisiert wird: • Daniel Kehlmann in Salzburg
Ich bin kein Medienwissenschaftler, der von berufswegen hersagen kann, wann zum bis dato letztenmal ein Bühnenklassiker in dem Sinne, wie ich es meine, verfilmt wurde. Sieht man vom dem grauslich larmoyanten Gejammer des Titelsongs (»Kein Feuer, keine Kohle«) ab, bildet Leander Haussmanns »Kabale und LIebe« eine späte löbliche Ausnahme. Werner Herzogs »Woyzeck« ist erstens zu lange her, um als Ausnahme zu gelten, und zweitens verzichtbar, weil die beste Umsetzung dieses Büchnerdramas ohnehin keine Theaterinszenierung ist, sondern Bergs Oper, die es in mehreren höchst respektablen Produktionen gibt, wie denn überhaupt die Oper noch weitgehend von den Übergriffen des deutschen Regietheaters verschont bleibt. Mit Schrecken erinnere ich mich des Moments, als Katarina Thalbach mit ihrer Leninmütze und Mickey-Mouse-Stimme darüber klagte, dass man in der Oper »nischt rausnehmen« (Wortlaut kein Zitat) dürfe. Wo das angebliche Recht verbrieft ist, bei Sprechtheaterstücken die Hälfte wegzulassen und dafür jede Menge anderes Zeugs reinzunehmen, hat mir noch niemand sagen können. Der Gedanke, eine Vertonung, d.h. die Verwendung eines Textes als LIbretto, komme dessen Inszenierung gleich, nehme gleichsam die Arbeit von Schauspielern und Regisseur vorweg, erinnert mich an mich selbst. Peinlich berührt durch die geballte Ladung Halbwissen, Naivität und hochtrabende Selbstüberschätzung meiner Examensarbeit von 1979 bringe ich es kaum über mich, das heute noch mal zu lesen. Ich erinnere mich aber daran, weil es darin um die Konzeption des extrem naturalistischen Theatermenschen Stanislawski ging, der mit Vorliebe Opern inszenierte, weil, so seine Auffassung, ein einfühlsamer Komponist all die Verlebendigung und Beseelung eines Textes in Gestalt einer Partitur schon vorab leistet, die bei reinen Sprechstücken vom Regisseur und den Schauspielern geleistet werden muss. Überflüssig zu sagen, dass das pointierend über die Wahrheit hinausschießt. um eben diese treffend auszusprechen.
Hier nun eine Inszenierung von Hauptmanns »Die Weber«. Die Herausforderung, eine schlesische Dialektfärbung glaubwürdig über die nicht vorhandene Rampe zu bringen, ist für Nachkriegskinder wie Martin Lüttge oder Klaus Maria Brandauer keine Kleinigkeit. Aber darüber höre ich gerne hinweg, wenn ich bedenke, dass meines Wissens niemand nach Fritz Umgelter das Stück so mit besten naturalistischen Tugenden realisiert hat, dass das Resultat den Vergleich bestehen könnte. Die clichéhafte Wendung, ein Stück sei »bis in die Nebenrollen gänzend besetzt«, trifft hier zu. Um nur einen Namen zu nennen, sage ich: Hanne Hiob. Die Tochter Brechts beherrscht das epische Theater ihres Vaters UND deren Gegenteil – die große Verwandlungskunst !
1. Akt 0:00
2. Akt 19:37
3. Akt 41:27
4. Akt 1:05:08
5. Akt 1:26:41
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